Der altmodische Fahrstuhl mit seinen Scheiben im Jugend-stilmuster schob sich langsam nach oben. In jedem Stockwerk war das gleichmäßige Ticken der Kontakte zu hören. Er hielt an. Vier Männer gingen den Korridor entlang, die Lampen brannten, obwohl es Tag war. Eine lederbespannte Tür öffnete sich.
- Treten Sie bitte ein — sagte ein Mann, der in der Tür stand.
Gregory ging hinter dem Doktor als letzter hinein. Auch hier war es fast dunkel. Vor dem Fenster ragten die nackten Zweige eines Baumes in den Nebel.
Der Chefinspektor ging wieder an seinen hohen, schwarzen Schreibtisch, dessen Platte mit Schnitzwerk eingefaßt war. Vor sich hatte er zwei Telephone und ein flaches Mikrophon, das an die Hausanlage angeschlossen war. Auf der blankpolierten Platte lagen seine Pfeife, die Brille und ein Lederläppchen, sonst nichts. Als Gregory vor dem Schreibtisch Platz nahm, erblickte er das Gesicht der Königin Viktoria, das aus einem kleinen Porträt über dem Kopf des Chefinspektors herausschaute. Dieser sah sie der Reihe nach an, als ob er sie zählen oder sich an die Züge der Versammelten erinnern wollte. Die Seitenwand bedeckte eine große Karte Südenglands, ihr gegenüber stand ein langes, schwarzes Bücherregal.
- Meine Herren, Sie wissen sicher über diese Angelegenheit Bescheid - sagte der Inspektor -, die ich nur von den Protokollen her kenne. Deshalb möchte ich um eine kurze Rekapitulation der Fakten bitten. Vielleicht Sie zuerst, Kollege Farquart.
- Jawohl, Herr Inspektor, aber den Anfang kenne ich auch nur von den Protokollen.
- Ganz am Anfang gab es noch nicht einmal Protokolle - bemerkte Gregory etwas zu laut. Alle sahen ihn an. Mit
übertriebener Nonchalance und energischen Bewegungen machte er sich daran, seine Taschen durchzustöbern, auf der
Suche nach Zigaretten.
Farquart richtete sich in seinem Sessel auf.
- Die Sache begann mehr oder weniger Mitte November vergangenen Jahres. Vielleicht ereigneten sich die ersten Fälle schon früher, wurden aber bagatellisiert. Die erste polizeiliche Meldung erhielten wir drei Tage vor Weihnachten, aber erst sehr viel später, nämlich im Januar, ergaben sorgfältige Untersuchungen, daß sich derartige Geschichten mit Leichen schon vorher ereignet hatten. Die erste Meldung kam aus Engender. Sie trug genaugenommen halb-offiziellen Charakter. Der Wärter der Leichenhalle, Plays, beschwerte sich beim Commander des örtlichen Polizeipostens, der nebenbei gesagt sein Schwager ist, daß sich irgend jemand nachts an den Leichen zu schaffen gemacht hätte.
- Zu schaffen gemacht, was soll das heißen?
Der Inspektor reinigte mit methodischer Sorgfalt seine Brille.
- Das soll heißen, daß sich die Leichen am Morgen in anderen Positionen befanden als am vorhergehenden Abend. Genaugenommen ging es nur um eine Leiche, wie es scheint, um einen Ertrunkenen, der...
- »Wie es scheint?« - wiederholte in unverändert gleichgültigem Ton der Chefinspektor.
Farquart richtete sich noch mehr in seinem Sessel auf.
- Alle Aussagen sind nachträgliche Rekonstruktionen, denn seinerzeit hatte ihnen niemand Gewicht beigemessen - erklärte er.-Der Leichenwärter ist sich jetzt nicht mehr ganz sicher, ob es eigentlich um die Leiche dieses Ertrunkenen ging oder um eine andere. Tatsächlich ist dort ein formaler Fehler passiert: Der Commander des Postens in Engender, Gibson, hat diese Anzeige nicht protokolliert, denn er dachte...
- Wir wollen uns doch wohl nicht auf Einzelheiten dieser Art einlassen? - unterbrach die Stimme des Mannes, der in einem Sessel dicht am Bücherregal saß. Er nahm eine betont lässige Pose ein. Er hatte die Beine so hoch überein-andergeschlagen, daß nicht nur seine gelben Socken, sondern auch der Streifen nackter Haut über ihnen zu sehen waren.
- Ich fürchte, das ist doch notwendig - gab Farquart frostig zurück, ohne ihn anzusehen. Der Chefinspektor setzte schließlich seine Brille auf, und sein Gesicht, das bis dahin irgendwie abwesend gewirkt hatte, bekam einen freundlicheren Ausdruck.
- Die formale Seite der Untersuchung können wir uns schenken, wenigstens für jetzt. Wollen Sie jetzt, Kollege Farquart.
- Jawohl, Herr Inspektor. Die zweite Meldung bekamen wir aus Planting, acht Tage nach der ersten. Auch da ging es darum, daß sich irgend jemand nachts an einer Leiche in der Friedhofsleichenhalle zu schaffen gemacht hatte. Der Verstorbene, ein Docker namens Thicker, war seit längerer Zeit krank und für seine Familie zur Last geworden.
Farquart beobachtete Gregory aus den Augenwinkeln, der ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her rutschte. '
- Das Begräbnis sollte frühmorgens stattfinden. Als sich die Angehörigen in der Leichenhalle versammelt hatten,
bemerkten sie, daß die Leiche auf dem Gesicht lag, das heißt, mit den Schultern nach oben; darüber hinaus waren
die Arme ausgebreitet, was den Eindruck hervorrief, als sei der Mann ... wieder zum Leben erwacht. Das heißt, der
Meinung war jedenfalls die Familie. In der Nachbarschaft begannen Gerüchte über einen angeblichen Scheintod zu kursieren (...).