Tomasz Lem ist der spät geborene Sohn von Stanisław Lem, er hat also keine Erinnerungen an den Vater als jungen Mann. In "Schwerkraftbedingte Misshelligkeiten" porträtiert er den berühmten Vater (...) Zum Vorschein kommt die Geschichte des Menschen Lem: die Geschichte seiner Kriegsabenteuer, die in wenigen Worten erzählt werden, seiner Wohnungen und Häuser, seiner Auslandsreisen und längeren Aufenthalte in West-Berlin und Wien, seiner Freundschaften und intellektuellen Beziehungen sowie seiner persönlichen Leidenschaften und Schwächen, insbesondere seiner verhängnisvollen Vorliebe für Süßigkeiten. Begleitet wird Lem von seiner Frau Barbara, die stets in seinem Schatten steht, aber als Partnerin und Betreuerin in all den Jahren ihrer Ehe eine außerordentlich wichtige Person ist.
Es handelt sich hierbei, was aus einer breiteren als der familiären Perspektive noch interessanter ist, um das Porträt einer außergewöhnlichen Persönlichkeit in den Jahren totalitärer Herrschaft, des Kalten Krieges, der Zensur sowie der allgemeinen Mangelwirtschaft im sozialistischen Lager. Der Kampf des widerspenstigen Lem mit diesen Unannehmlichkeiten, seine Proteste, seine Ohnmacht und seine Apathie dienen zum einen als Vorwand, um die düstere Realität des Kommunismus darzustellen, und sind zum anderen Gegenstand unzähliger grotesker Anekdoten.

Jerzy Jarzębski (Vollständige Rezension)

Als Kind wurde ich von meinem Vater mit Spielzeug überhäuft. Was nicht weiter verwunderlich gewesen wäre, hätte mein Vater nicht schon Jahre vor meiner Geburt angefangen Spielsachen zu kaufen. Während eines Russlandaufenthaltes in den Sechzigerjahren kaufte er zum Beispiel ein Modellflugzeug und setzte es im Hotelzimmer zusammen. Weil er es aber, aufgrund der beachtlichen Maße, nicht mitnehmen konnte, schenkte er es kurzerhand einem Schriftstellerkollegen, mit dem er das Zimmer teilte und der noch etwas länger in Moskau blieb. Als ich größer wurde, beklagte er sich, dass sein Sohn nicht mit dem von ihm gekauften Spielzeug spiele. Von da an kaufte er nicht mehr so viel, sah er aber ein besonders schönes Modell, ein Schiff oder eine Dampflokomotive, konnte er einfach nicht widerstehen.

Meine Besuche bei meinem Vater begannen mit der immergleichen Frage: „Papa, hast du Zeit?“ Meistens hatte er Zeit für mich. Wir beschäftigten uns mit Geophysik (Vater zeichnete Vulkane), schauten uns Anatomieatlanten oder Sternkarten an und sprachen viel über die Planeten, deren Namen ich schon auswendig kannte, bevor ich zur Schule ging. Vater ließ meine Vermutung, dass die Saturnringe sich immer langsamer drehen, unkommentiert, obwohl es ihn einiges an Selbstbeherrschung gekostet haben musste, angesichts einer derart schändlichen Missachtung der grundlegenden Gesetze der Mechanik zu schweigen. Eigens für mich projektierte er ein Fahrzeug, das von Hunden und Katzen (statt von einem Motor) angetrieben wurde. Dessen weiterentwickeltes Modell hatte einen zusätzlichen Hund und eine Rückwärtsgangkatze. Beide Fahrzeuge blieben natürlich „Reißbrettentwürfe“; das Maß aller väterlichen Hingabe hingegen war das von ihm entwickelte, mit einer kleinen Kurbel angetriebene Modell einer Seilbahn, die eine Zeitlang zwischen dem Nachttisch und dem Bücherregal hin- und hergondelte, diagonal durch das Arbeitszimmer, fast unmittelbar über den Schreibtisch.

Die Zuteilung von süßen Rationen – genauer gesagt von Marzipanbrot – wurde von einem besonderen Ritual begleitet. Vater öffnete den Schrank, nahm ein Taschenmesser heraus, rieb die Klinge an einem Taschentuch ab, wickelte dann still und konzentriert ein Stück Marzipan aus dem Papier und schnitt zwei Portionen ab – eine für mich und eine für sich. Nach einer kurzen behaglichen Stille, in der Vater seinen Gedanken nachhing, fegte er mit einer schwungvollen Bewegung die Krümel in die Ritze unter der Klappe – mit der Zeit häufte sich dort einiges an. Diese Marzipanfestessen fanden in einer konspirativen Atmosphäre statt, da uns beiden klar war – obwohl darüber nie gesprochen wurde –, dass Mutter von der Art, wie wir uns der Krümel entledigten, nicht begeistert gewesen wäre, und auch die Art, das Taschenmesser zu reinigen, nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen wäre.
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