Frage: Ich wollte Sie fragen, ob das Leben einen Sinn hat. Aber die Frage ist vielleicht zu allgemein und zu banal, daher frage ich lieber: Hat das Leben eine Zukunft?
Lem: Bei der Frage nach der Zukunft der Menschheit verspüre ich immer eine gewisse Unruhe. Denn wir steuern unaufhaltsam auf einen Nuklearkrieg zu. Leider weiß ich nicht, wann der endgültige Zusammenstoß stattfinden wird. Wenn ich es wüsste, würde ich mich möglichst in den Panzerschrank des amerikanischen Präsidenten setzen.
Frage: Das ist ja eine fürchterliche Prognose.
Lem: Fürchterlich, aber auf Tatsachen gestützt. Es reicht doch, wenn man sich einen Teil der politischen Landschaft vor Augen führt: Als Teheran verkündete, das Nuklearprogramm fortzusetzen, sagte der israelische Politiker Benjamin Netanjahu, dass er einen Plan habe, die iranischen Atomanlagen zu bombardieren. Als Reaktion darauf kaufte Teheran in Russland Raketen mittlerer und großer Reichweite, um sie im Fall eines Angriffs einzusetzen. So eine Spannung kündigt keinen dauerhaften Frieden an.
Frage: Meinen Sie, die Vereinigten Staaten könnten die Kontrolle in diesem Konflikt verlieren?
Lem: Die Vereinigten Staaten sind - wie es schon der kanadische Premierminister gesagt hat - ein Riese ohne Kopf. Präsident Bush hat die Eigenschaft, dumm zu sein. Davon zeugt zum Beispiel die Tatsache, dass er gegen die Evolutionstheorie auftritt, zugunsten eines sogenannten intelligenten Projekts, bei dem es darum geht, dass man nicht weiß, worum es geht. Seine ganze Administration verfechtet diese idiotische Theorie, ihren Mitgliedern mangelt es an Verstand.
Frage: Mit Bushs "intelligentem Projekt" meinen Sie die Vorstellung, dass Gott in der Evolution seine Finger mit im Spiel hat. Das wird von der Wissenschaft verneint, nicht jedoch von der Rechten. Berät sich Bush auch bei seinen Entscheidungen mit dem Schöpfer?
Lem: Nicht alle Rechten sind dumm, es gibt auch vernünftige Rechte. Die englischen Konservativen sind zum Beispiel keine Idioten.
Frage: Und die polnischen Rechten, die gerade an die Macht gekommen sind?
Lem: Worüber reden wir hier? Verzeihen Sie, Polen ist am Arsch der Welt - was Zivilisation angeht, und es zählt in der Welt nichts. Es interessiert keinen, dass wir hier irgendwelche Enteriche haben. Wenn ich 30 Jahre jünger wäre, würde ich Polen erneut verlassen. Aber wo soll man hingehen? Es ist ja überall unangenehm. Die Schweiz ist langweilig, die USA dumm ...
Frage: Was halten Sie von der Lustration, von der Entsühnung der Gesellschaft, die sich die Kaczynskis auf die Fahnen geschrieben haben?
Lem: Das hat keinen Sinn. Man muss in die Zukunft schauen, nicht in die Vergangenheit. (...) Wir stehen jetzt vor anderen Herausforderungen. Die Scharen der Mohair-Barett-Trägerinnen werden uns nicht helfen, wenn irgendwelche Araber in der Warschauer U-Bahn eine Bombe legen. Vor einiger Zeit wurde ein Experiment gemacht in der Absicht, die Aufmerksamkeit der polnischen Gesellschaft im Fall eines Terrorangriffs zu testen. An einem öffentlichen Ort wurde ein Paket platziert. Und was passiert? Hat jemand die Polizei benachrichtigt? Nein! Weil einer unserer Landsleute das Paket gestohlen hat! So sieht unsere bürgerliche Einstellung aus. Daran sollte man arbeiten, und nicht an der Vergangenheit, die es nicht mehr gibt und nicht mehr geben wird.
(...) Die Welt spaltet sich immer mehr. Der Irak liegt im Argen. In Syrien ist auch nicht alles in Ordnung. Teheran wird sich vor dem Sicherheitsrat der Uno nicht erschrecken. Ich glaube wirklich, dass es ganz unwichtig ist, wer Präsident in Polen ist. Es ist wichtig, wer Präsident in Amerika ist. Jeden Tag sterben Dutzende Menschen im Irak und dieser Dummkopf sagt, es werde immer besser. Was kann man mit so einem Menschen anfangen?
Frage: Hoffen Sie auf eine Amtsenthebung Bushs?
Lem: Dafür gibt keine gesetzliche Grundlage. Selbst wenn er von einem hässlichen Araber getroffen würde, hätten wir noch den stellvertretenden Präsidenten, Cheney, der nicht besser ist als Bush. Wegen solcher Leute wird die Welt immer schlechter.
Frage: Gibt es keine Hoffnung?
Lem: Für die Welt? Schlechte Aussichten. Wie kann man wirksam den zunehmenden Terrorismus bekämpfen, wenn in diesem Fall nicht einmal die Todesstrafe hilft? Die Terroristen warten doch nur darauf zu sterben. So wie ich anfangs gesagt habe: Langsam aber unvermeidlich gehen wir auf einen nuklearen Konflikt zu. Das ist keine besondere Erkenntnis, sondern bloße Selbstverständlichkeit.
Das Interview führte Przemyslaw Szubartowicz. Es erschien am 16.12.2005 in der polnischen Zeitung "Przeglad". SPIEGEL ONLINE veröffentlicht Auszüge daraus. Übersetzung: Marta Glowacka