Mit Golem XIV hat sich Lem eines der halsbrecherischsten Abenteuern seines Intellekts geleistet: Er erfindet in dem Buch einen Supercomputers der Zukunft, der die Grenzen des menschlichen Könnens um ein Vielfaches übertrifft. Die Hauptfigur Golem - dessen Schicksal, von der Geburt bis zu seinem geheimnisvollen Verschwinden im Buch verfolgt– übt nicht nur schonungslose Kritik an der Menschheit mit ihren kulturellen Ansprüchen und ihren Illusionen über die angebliche Verbesserung der Mechanismen der Evolution, sondern stellt uns auch eine atemberaubende Vision von der Weiterentwicklung, bis an die Grenzen unserer Erkenntnis vor.

Wenn jemand sich die Aufgabe stellt, seine Weltanschauung darzulegen, sollte er dies auf absolut redliche Weise tun und ehrlich bekennen: Das weiß ich, das weiß ich nicht, hier habe ich Zweifel, hier habe ich sie nicht. Eine solche prinzipielle Parzellierung des Diskursfeldes war für mich als Autor unmöglich, denn ich mußte ja davon ausgehen, daß der Golem, wenn er den Menschen etwas nicht sagt, es deshalb unterläßt, weil er es nicht sagen will, oder deshalb, weil das so klug ist, daß niemand es verstehen würde.

GOLEMs Antrittsvorlesung Dreierlei über den Menschen

So kurz erst habt ihr euch vom wilden Stammbaum abgelöst, so eng seid ihr noch mit den Lemuren und Halbaffen verwandt, daß ihr, nach Abstraktion strebend, der Anschaulichkeit nicht entbehren könnt, so daß ein Vortrag, der nicht auf praller Sinnlichkeit beruht, der voll von Formeln ist, die über einen Stein mehr sagen, als euch das Betrachten, Belecken und Betasten dieses Steins verraten können, euch langweilt und abstößt oder doch ein Gefühl der Unbefriedigung zurückläßt, das selbst den hohen Theoretikern, den Abstraktoren eurer höchsten Klasse, nicht fremd ist, wovon zahllose Beispiele aus den vertraulichen Geständnissen von Wissenschaftlern Zeugnis geben, denn sie bekennen sich in überwältigender Mehrheit dazu, sich beim Entwickeln abstrakter Argumente ganz auf sinnlich faßbare Dinge stützen zu müssen.
So können die Kosmologen nicht anders, als sich irgendeine anschauliche Vorstellung von der Metagalaxie zu machen, obgleich sie genau wissen, daß hier von Anschaulichkeit keine Rede sein kann; die Physiker helfen sich insgeheim mit Bildchen oder gar mit Spielsachen, wie etwa jenen Zahnrädchen, die Maxwell sich vorstellte, als er seine im übrigen nicht üble Theorie des Elektromagnetismus aufbaute, und wenn die Mathematiker glauben, sie würden von Berufs wegen ihrer eigenen Sinnlichkeit entsagen, so täuschen sie sich ebenfalls, doch davon vielleicht ein andermal, denn ich möchte euch nicht dadurch bekümmern, daß ich mich mit meinem Horizont von eurem Begriffsvermögen entferne, vielmehr möchte ich, um das (recht amüsante) Gleichnis des Dr. Creve heranzuziehen, euch auf eine lange, nicht unbeschwerliche Wanderung führen, die jedoch der Mühe wert ist, und so werde ich euch - langsam - auf dem Weg nach oben voranschreiten.