Science fiction - Ein hoffnungsloser Fall mit Ausnahmen
»Ich verfüge über Vorstellungskraft und bin ein Sklave der Logik; es fällt mir schwer, mir etwas vorzustellen, was in keiner Beziehung zu wahren Sachverhalten steht. Ich kann niemals aufhören, logisch zu denken, und läge mir auch daran.«
Eine Art Credo
Man kommt auf die Welt bester Laune, das Lächeln ist ja den Neugeborenen eingeboren; sie weinen nur, wenn ihnen ihr Genuss der Lebensfreude vergällt wird. Allmählich kommt man zu der Einsicht, dass die Welt nicht nach dem Lustprinzip eingerichtet ist. Es gibt mehr Landschaften, Revelationen, Menschen, Morgenröten, als dass man sie sich anders denn als rein zahlenmäßige Größe vorstellen könnte. Man wird auf den Zufall hingewiesen. Die Existenz ist eine ungeordnete Menge von Zufälligkeiten, in deren Strömung man lavieren muss, ob man sich des uns in jedem Augenblick verloren gehenden Übermaßes bewusst ist oder nicht; dabei vermindert sich der Vorrat an Hirnzellen - am Ausgangspunkt 12 Milliarden -täglich um 100000 Neuronen, die absterben, ohne ersetzt zu werden.
Ungefragt wird man in das Spiel hineingezogen: mit den sozialpolitischen Kräften, die seit Urzeiten ein Fiasko nach dem anderen produzieren, von Versuchen, die gute Meinung des Menschen über sich selbst und über die Welt zu bewahren, und die blinde Lotterie aus dem Dasein zu verbannen. Dieses Spiel ist mehrschichtig. Man ist genötigt, mit der Menschenumwelt zu spielen, und mit der Natur; und wenn auch die ungezähmte Natur mit Technologien aus der Gesellschaft verbannt wird, wird dieser künstliche Ersatz allmählich zum Schadenstifter, und selbst dann lässt sich die Natur nicht total verbannen, weil sie weiterhin in unseren Körpern steckt, nackt inmitten der maschinell sterilisierten Passage. Wenn das Altern einsetzt, beginnt zugleich das Endspiel mit der Natur, d. h. mit dem eigenen Körper, der, einer lotterieartigen Statistik zufolge, entweder im Zellenbereich zu stottern beginnt oder auch nicht. Beginnt er zu stottern und entgleisen deswegen ein paar Zellen aus ihrer bisherigen Bahn, kommt es zur Wucherung, und man wird vom Krebs verzehrt. Beginnt er es nicht dank einem glücklichen Zufall, sterben die Zellen und Funktionen von sich selbst aus ab, bis man im ganzen und großen stirbt. Das ist keine voreingenommene Lebensdarstellung, sondern die reine, wissenschaftlich garantierte Wahrheit, in die Umgangssprache übersetzt. Man lebt also in mehreren Universen zugleich, man nimmt teil an mehreren unumkehrbaren Spielen, die, wie auch die Einzelheiten dieser Spiele aussehen, in eine endgültige Niederlage einmünden. Unter diesen Bedingungen soll man sich den >richtigen< Kurs wählen. Am Steuer ist man zu einem kleinen Teil schon frei.
Diese objektiv geschilderte Lage ist unsinnig und grausam genug, dass man weit zu gehen gewillt wäre, um sie zu verschönen oder mindestens erträglicher zu machen. Die Transzendenz bildet als Vision und als Hilfe bringende Offenbarung eine der unglaubhaftesten und zugleich genialsten Erfindungen des Menschengeistes. Man könnte sogar der Meinung sein, die Einrichtungen der Kultur seien ein Repertoire von ernst genommenen Phantastereien, die alle Mängel des Leibes, der Seele, der Gesellschaft, des Universums in anbetungswürdige Kostbarkeiten von höchstem Wert umgestalten sollen. Die Kultur ist eine unaufhörlich tröstende und die wahren Sachverhalte umbenennende Apparatur: sie benennt das Leiden, das Altern, das Zugrundegehen, das Mit-dem-Zufall-Spielen wie auch die Endkatastrophe selbst um; sie ist ein Umformer, der negative Werte in ihre positiven Gegensätze überführt, sie ist der ehrenhafte Samariter, der immer zum Lügen bereite Verteidiger, mutig genug, um eine von Anfang an verlorene Sache einen herrlichen Fall zu nennen. Man merkt das kaum, weil die Kultur diese Verteidigerrolle nicht makellos und nicht pausenlos vorspielt; als ob ihr das ewige (wenn auch gut gemeinte) Belügen von Wehrlosen manchmal unerträglich wäre, gibt sie dies und das zu (was den Tatsachen entspricht): nicht dumm dieses Vorgehen, weil dadurch auch die den Dreck verschönenden Lügen wahrscheinlicher werden.
Vor die Hauptprobleme gestellt, kann man nicht mehr frei wählen; man kann nicht den Gottesglauben der blinden Statistik frei vorziehen, weil die Erlangung oder der Verlust des Glaubens durch Vorgänge bedingt ist, die mit dem Willensakt und einer rationalen Entscheidung nichts zu tun haben.
Der Zufall wollte es, dass meine Genkonstellation mich mit Begabungen beschenkte, die einen im XX. Jahrhundert zum Schriftsteller befähigen. Und zwar mit Begabungen, die einen Grenzfall darstellen zwischen der der Kunst zugewandten und der wissenschaftlichen Laufbahn. Deshalb die Science Fiction, die aber in meinem Fall todernst gemeint ist, auch dann, wenn sie als Humoristik betrieben wird. Die Zusammensetzung meines Geistes war mir gegeben; auf die Zusammensetzung der Welt hatte ich auch keinen Einfluss. Dies sind zwei >random variables<, ursprünglich unabhängige Variablen; es war mir möglich, beide in einem gewissen Grade zu korrelieren.
Ich verfüge über Vorstellungskraft und bin ein Sklave der Logik; es fällt mir schwer, mir etwas vorzustellen, was in keiner Beziehung zu wahren Sachverhalten steht. Ich kann niemals aufhören, logisch zu denken, und läge mir auch daran. Alles, was ich hier gesagt habe, beruht auf meiner Lebenserfahrung und der Lektüre von einigen Tausenden Büchern, die von den besten Köpfen stammen, die es hier je gegeben hat. Und wenn dies auch kein wissen a priori ist: ich bin mir keiner anderen Tatsache so völlig sicher, als derjenigen, dass ich die Klugen von den Dummen und die Blender von den Genialen recht schnell zu unterscheiden vermag, wenn mir ein paar Seiten, verfasst von den Betreffenden, vorliegen. Dies ist mein Stützpunkt, der Ort, nach dem Archimedes suchte, um die Erdkugel zu bewegen. Das heißt auch, dass ich immer bereit bin, meine Urteile, Bewertungen, Ansichten total zu ändern, wenn entsprechendes Beweismaterial, das für das Gegenteil plädiert, vorliegt.
Ich habe es bisher nur nicht finden können.