Vorwort zur deutschen Ausgabe

Jede geschichtliche Periode hat ihre eigene Zukunft in Gestalt der herrschenden Vorstellung darüber, was auf sie folgt. Diese Vorstellung ist, bildlich gesprochen, die von einem Spiegel zurückgeworfene Gegenwart. Allerdings bedient sich das antizipierende Denken unterschiedlicher Spiegel. Solange die historischen Veränderungen allmählich und in Zeiträumen vor sich gingen, die die Lebenszeit einer Generation überstiegen, war der Spiegel flach: die Zukunft mußte eine Verlängerung der Gegenwart, deren getreues Abbild sein. Zuweilen benützte man konvexe Spiegel, welche die Bedeutung der jeweiligen Probleme verminderten, zuweilen konkave, die alles vergrößern. Nicht anders ging es in unserem Jahrhundert - wobei aber die Wahl der Spiegel eine Institutionalisierung erfuhr, weil es zur Mode wurde, alles zu institutionalisieren - gemäß der herrschenden Auffassung, die kollektive Arbeit ergebe die vollkommensten Resultate. Deshalb entstand die Futurologie.
Die ersten Futurologen, die in dem großen Land der großen Dinge, den Vereinigten Staaten, tätig wurden, hielten der Welt einen gewaltigen, die Gegenwart vergrößernden Spiegel vor. Ihre europäischen Kollegen taten dasselbe. Die Euphorie dieser Forscher war ansteckend. Durch die Darstellung einer von Elefantiasis und Gigantismus geprägten Zukunft wurde die Futorologie berühmt. Machtvolle, beim Jahre 2000 aufgestellte Spiegel übertrieben alles: den Wohlstand, die Nationaleinkommen, die Produktion, die Erfindungstätigkeit der Technik, die Wissenschaft. Sie übertrieben auch die Konflikte - z. B. die atomaren, mit denen sich insbesondere der von der Eschatologie   begeisterte   Futurologe   H.  Kahn   befaßte.


Diese prächtigen Spiegel sind heute spurlos verschwunden. Wo ist die berüchtigte »postindustrielle« Gesellschaft von Bell und Kahn, da das größte Ding, welches die USA heute besitzen, ihr Haushaltsdefizit ist (70 Milliarden Dollar)? Wo ist die mit Lebensmitteln gesättigte Welt eines Fritz Baade? Letzthin empfahl man uns, in neue Spiegel zu schauen, die speziell die gegenwärtigen Krisen vergrößern. Sie vergrößern sie derart stark, daß sie das Ende der Welt anzeigen.
All diese Unternehmungen beruhten auf der Überzeugung, die Zukunft sei vorhersehbar. Diese Ansicht kommt dem Historizismus nahe, wie Karl Popper ihn versteht. Nach Auffassung des Historizismus weist die Geschichte verläßliche Gesetzmäßigkeiten auf. Und insofern ist sie vorhersehbar. Darauf setzte die Futurologie.
Vor 16 Jahren, als ich dieses Buch schrieb und man von der Futurologie noch nichts gehört hatte, nahm ich an, daß die Geschichte unvorhersehbar sei. Daß man nicht feststellen könne, was in fünf, zehn oder fünfzig Jahren passieren würde. So kam die Aufgabe, die ich mir stellte, einem Paradoxon gleich: Vorherzusehen, was man nicht vorhersehen kann. Ich bin Antihistorizist - wie Popper, der meint, die Geschichte sei ebenso unvorhersehbar wie der Verlauf der natürlichen Evolution der Arten. Darin bin ich mit ihm einig.
Geschichte und Evolution sind Spiele von ein und demselben Typus. In beiden wechseln die Spieler, die physischen Umweltbedingungen, unter denen das Spiel abläuft, ja sogar die Spielregeln. Und wenn auch in der Geschichte die Menschen miteinander kämpfen und in der Evolution die Arten miteinander konkurrieren, so ist ihr Hauptgegner doch die Natur. Evolution und Geschichte sind Spiele, bei denen die Natur wegen ihrer Unberechenbarkeit ein merkwürdiger Partner ist. Mal scheint er feindselig, mal wohlwollend zu sein. Das aber nur, weil es sich um einen unpersönlichen Partner handelt, einen, dem »alles gleich« ist, einen Partner, dem die Siege der lebenden Spieler ebenso gleichgültig sind wie ihre Niederlagen.
Die evolutionäre Zukunft der Arten ist eine Resultante von zwei unabhängigen Variablen: der Physik des Planeten und der Dynamik des Lebens. Diese Variablen sind nicht gänzlich unabhängig voneinander. Aber ihre gegenseitige Abhängigkeit ist selber eine Variable. Häufig eine Zufallsvariable. Deshalb läßt sich weder der künftige Erfolg der einen noch der Untergang der anderen Arten vorhersehen.

Die geschichtliche Zukunft der Menschen ist gleichfalls unvorhersehbar. Sie ist, wenn man so sagen darf, sogar in höherem Maße unvorhersehbar als der Verlauf der Evolution, weil es in der Evolution weniger Variablen gibt als in der Geschichte. Eine Invariante des Evolutionsspiels ist die Strategie des Lebens, das um sein Überdauern stets nach der Regel kämpft: »catch as catch can«. In der Geschichte dagegen werden die Strategien der Menschen durch den kulturellen Faktor und durch die technologische Variable der Handlungsmöglichkeiten modifiziert. Diese Variable und diesen Faktor hat man eine Zeitlang als »Fortschritt« bezeichnet. Das war immer eine Übertreibung (siehe die Krematorien und Hiroshima). Eine evolutionäre Invariante ist die Gesamtbilanz des Spiels: Die Masse der lebenden Organismen ist eine konstante Größe, die von den astronomischen Bedingungen des Planeten abhängt (Sonneneinstrahlung, Atmosphäre, Gewässer etc). Einer muß sterben, damit ein anderer entstehen kann.
Den zitierten Satz Poppers möchte ich etwas anders formulieren als er.
Es ist richtig, daß man weder in der Geschichte noch in Diese prächtigen Spiegel sind heute spurlos verschwunden. Wo ist die berüchtigte »postindustrielle« Gesellschaft von Bell und Kahn, da das größte Ding, welches die USA heute besitzen, ihr Haushaltsdefizit ist (70 Milliarden Dollar)? Wo ist die mit Lebensmitteln gesättigte Welt eines Fritz Baade? Letzthin empfahl man uns, in neue Spiegel zu schauen, die speziell die gegenwärtigen Krisen vergrößern. Sie vergrößern sie derart stark, daß sie das Ende der Welt anzeigen.
All diese Unternehmungen beruhten auf der Überzeugung, die Zukunft sei vorhersehbar. Diese Ansicht kommt dem Historizismus nahe, wie Karl Popper ihn versteht. Nach Auffassung des Historizismus weist die Geschichte verläßliche Gesetzmäßigkeiten auf. Und insofern ist sie vorhersehbar. Darauf setzte die Futurologie.
Vor 16 Jahren, als ich dieses Buch schrieb und man von der Futurologie noch nichts gehört hatte, nahm ich an, daß die Geschichte unvorhersehbar sei. Daß man nicht feststellen könne, was in fünf, zehn oder fünfzig Jahren passieren würde. So kam die Aufgabe, die ich mir stellte, einem Paradoxon gleich: Vorherzusehen, was man nicht vorhersehen kann. Ich bin Antihistorizist - wie Popper, der meint, die Geschichte sei ebenso unvorhersehbar wie der Verlauf der natürlichen Evolution der Arten. Darin bin ich mit ihm einig.
Geschichte und Evolution sind Spiele von ein und demselben Typus. In beiden wechseln die Spieler, die physischen Umweltbedingungen, unter denen das Spiel abläuft, ja sogar die Spielregeln. Und wenn auch in der Geschichte die Menschen miteinander kämpfen und in der Evolution die Arten miteinander konkurrieren, so ist ihr Hauptgegner doch die Natur. Evolution und Geschichte sind Spiele, bei denen die Natur wegen ihrer Unberechenbarkeit ein merkwürdiger Partner ist. Mal scheint er feindselig, mal wohlwollend zu sein. Das aber nur, weil es sich um einen unpersönlichen Partner handelt, einen, dem »alles gleich« ist, einen Partner, dem die Siege der lebenden Spieler ebenso gleichgültig sind wie ihre Niederlagen.

Die evolutionäre Zukunft der Arten ist eine Resultante von zwei unabhängigen Variablen: der Physik des Planeten und der Dynamik des Lebens. Diese Variablen sind nicht gänzlich unabhängig voneinander. Aber ihre gegenseitige Abhängigkeit ist selber eine Variable. Häufig eine Zufallsvariable. Deshalb läßt sich weder der künftige Erfolg der einen noch der Untergang der anderen Arten vorhersehen.

Die geschichtliche Zukunft der Menschen ist gleichfalls unvorhersehbar. Sie ist, wenn man so sagen darf, sogar in höherem Maße unvorhersehbar als der Verlauf der Evolution, weil es in der Evolution weniger Variablen gibt als in der Geschichte. Eine Invariante des Evolutionsspiels ist die Strategie des Lebens, das um sein Überdauern stets nach der Regel kämpft: »catch as catch can«. In der Geschichte dagegen werden die Strategien der Menschen durch den kulturellen Faktor und durch die technologische Variable der Handlungsmöglichkeiten modifiziert. Diese Variable und diesen Faktor hat man eine Zeitlang als »Fortschritt« bezeichnet. Das war immer eine Übertreibung (siehe die Krematorien und Hiroshima). Eine evolutionäre Invariante ist die Gesamtbilanz des Spiels: Die Masse der lebenden Organismen ist eine konstante Größe, die von den astronomischen Bedingungen des Planeten abhängt (Sonneneinstrahlung, Atmosphäre, Gewässer etc). Einer muß sterben, damit ein anderer entstehen kann(…).