„Utopische Bücher? Doch, die mag ich, aber nur schlechte. Das heißt, schlechte eigentlich nicht, eher unwahre. An Bord habe ich so etwas immer bei der Hand, um in freien Augenblicken zu lesen, auch wenn es nur ein paar Seiten mittendrin sind, und es dann beiseite zu legen. Mit den guten ist das eine ganz andere Sache, die lese ich ausschließlich auf der Erde." Der das sagt, muß es wissen: Raumpilot Pirx, Held des Erzählbandes „Die Jagd" von Stanislaw Lem; er kennt sich auf unserer Erde, im Weltall und auf anderen Planeten ebensogut aus wie in diversen Raumschiffen. Sechs Erzählungen sehr unterschiedlicher Gewichtigkeit und auch Form vereint der Band. Einmal arbeitet Pirx als Navigator, einmal als Testpilot, einmal ist er Kommandant eines Oldtimer-Raumschiffes, einmal ist er auf Patrouillenflug., im Weltraum ... Lem macht es dem Leser nicht schwer, für diesen Einzelgänger Sympathie zu empfinden.
Mit seiner schnoddrigen, manchmal fast schon zynischen Art kommentiert Pirx das Geschehen, wo es doch nicht selten um recht aufregende Vorgänge, sogar um Leben und Tod geht. Pirx ist recht abgebrüht, doch wie so oft bei solchen Typen entdeckt man hinter dem kalten Ton das Verwundbare dieses Astronauten.
Die gewichtigste und auch umfangreichste Erzählung dieses Bandes ist „Die Verhandlung". Pirx ist Kommandant einer Mannschaft, die aus Menschen und täuschend menschen-ähnlichen Robotern besteht. Diese Roboter sind so „echt", daß nur ein geübter Fachmann mit allerlei Tricks bzw. nach langer Beobachtung sie als Roboter entlarven kann — sogar bluten können sie! Da kommt zu dem ansonsten recht lockeren, humorvollen Ton des Buches eine gespenstische Komponente hinzu.
Stanislaw Lem erzählt uns von der Zukunft in erster Linie nur Wissenschaftlich-Technisches. Der an diesen Problemen nicht sonderlich interessierte Leser entdeckt sich bei der Lektüre dagegen immer wieder, wie er versucht, herauszubekommen, was von all unseren kleinen und großen Problemen, Sorgen und Nöten auch noch in der Zukunft ungelöst bleiben wird.
Märchen für Erwachsene soll Lem diese Erzählungen aus ferner Zukunft genannt haben. Eine einleuchtende, sympathisch bescheidene Charakterisierung dieser Gattung Literatur, die immer .umfangreicher wird und auch immer mehr interessierte Leser findet. Da streitet man sich überall, wie man diesen Zweig der Literatur nennen soll, da verfassen Wissenschaftler lange Abhandlungen über die Spezifika und Wirkungsmöglichkeiten ... und da hat sich ein polnischer Schriftsteller mit beeindruckender Beständigkeit im literarischen Schaffen bereits zum Klassiker der Science Fiction entwickelt.
Ein Kompliment auch dem Gestalter des Schutzumschlages dieses Bandes, Carl Hoffmann. Eine schöneMischung aus astronomischer Zeichnung und Kandinsky. [m.h.]
[Berlin, „Neue Zeit“, 24.05.1973]