»Die Zeit urbar machen« - dieser Aphorismus Lichtenbergs könnte das Motto sein für die Kindheits-Erinnerungen von Stanislaw Lem, einer der profiliertesten polnischen Autoren nicht nur der Science Fiktion Literatur, der hier das Lwow der zwanziger und dreißiger Jahre rekonstruiert, allerdings nur scheinbar mit den Augen eines Kindes gesehen. Die Suche nach der verlorenen Zeit mündet in eine ununterbrochene Gegenwärtigkeit. »So war die Zeit denn ein Abgrund, unbeweglich in sich selbst, gleichsam machtlos, untätig. In ihr geschah sehr viel, viel wie in einem Meer, doch sie selbst schien stillzustehen. «
 

In dieser Zeit reiste ich alle paar Wochen mit dem Nachtzug nach Warschau, in der billigsten Klasse - denn ich war damals arm -, zu nicht enden wollenden Konferenzen mit dem Verlag »Ksiazka i Wiedza«; dort wurde das »Hospital der Verklärung« in die Mangel genommen, mit verschiedenen Zusätzen angereichert, von einigen im Verlag erstellten Rezensionen angeprangert, die auf seine Dekadenz und seinen konterrevolutionären Charakter hinwiesen. Ein ganzer Berg Papier und eine Menge vergeudeter Zeit. Aber wenn man zwanzig Jahre alt ist und ein heiteres Gemüt hat, kann man viel aushalten. Man redete mir zu, hier müsse etwas umgearbeitet, dort etwas hinzugefügt, dort wieder etwas gestrichen werden, usw. Man machte mir Hoffnungen, so daß ich das Manuskript in einem fort umschrieb, immer wieder etwas änderte. Ich muß sagen: Obwohl ich die mühevolle (Gewohnheit habe, ein Buch in mehreren Varianten zu schreiben, hat mich dennoch niemand je in einen solchen Zustand gebracht wie diese diversen Herren und Damen in jener Zeit, als ich in der Hoffnung, es doch zu retten, bis ins Unendliche schrieb und am Ende aus mir etwas herauspreßte, was ich gar nicht hatte schreiben wollen. Wissen Sie - das ist die Salami-Taktik! Wenn der Autor schon den zweiten Band geschrieben hat, wird er auch den dritten schreiben. Wenn er das Buch schon ein bißchen verdorben hat, wird man ihn dazu bringen, daß er es ganz verdirbt. Natürlich hat das alles nichts genützt; das Buch erschien erst dank dem Oktober 1956.

DER ZUG hielt nur ganz kurz in Nieczawy. Stefan hatte kaum Zeit, sich durch die Tür zu zwängen und abzuspringen, da zog die Lokomotive auch schon schnaufend an, und hinter ihm begannen die Räder zu rattern. Seit mehr als einer Stunde wurde er das beklemmende Gefühl nicht los, das Aussteigen zu versäumen, und dieses Problem überschattete alles, selbst den Zweck seiner Reise. Nun, da er, der stickigen Wärme des Abteils entronnen, gierig die frische, fast schneidend kalte Luft einatmete, befreit und ratlos zugleich, kam er sich vor wie aus einem schweren Traum erwacht.
Es war einer der letzten Februartage. Lichte Wolken mit weißglühenden Rändern bedeckten den Himmel. Vom Schmelzwasser unterspült, sackte der Schnee in den Schluchten und Mulden zusammen, gab Stoppelfelder und Gebüsch frei, morastige Wege und lehmige Hänge. Das Chaos - der Herold allen Wandels - war in das eintönige Weiß der Landschaft getreten.
Die Überlegung mußte Stefan büßen; er trat fehl, Wasser lief ihm in den Schuh.